Behring-Route: Hörstation Brunnenstraße 16
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Verleihung des Nobelpreises an Emil von Behring
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Augenzeugenbericht des 20-jährigen Studenten Folke Henschen

„In den Tagen vor der Preisverleihung lag eine gewisse Spannung in der Luft. Die Namen der Gewinner wurden geheim gehalten – sie waren nicht, wie heute, schon Monate im voraus bekannt gegeben worden. Als drei vornehme deutschsprachige Herren mit dem Zug aus dem Süden anreisten und zum Grand Hotel gebracht wurden war klar, daß dies die Gewinner sein mußten. Internationaler Verkehr war damals nicht so alltäglich wie heute.

Die Preise wurden in der großen Halle der königlich-schwedischen Musikakademie in Nybroviken vergeben. Die nüchterne, eher langweilige Halle war unter der Aufsicht des berühmten königlichen Architekten Agi Lindegren reich dekoriert worden. Als einer der sogenannten Student-Marshalls, fesch mit Studentenmütze und breitem seidenen blau- und goldfarbenen Band über meiner linken Schulter, hatte ich von meinem Platz aus in der Galerie zur Rechten des Podiums einen hervorragenden Blick über das Geschehen. Das große Musikpodium, wo das königliche Orchester spielen sollte, war vollständig mit Pflanzen und Pinienzweigen dekoriert. Mittig im Hintergrund der Bühne, neben einem riesigen Lorbeerkranz mit blau- und goldfarbenem Band, stand ein großer breiter Obelisk mit einer weißen Büste Alfred Nobels. Im Vordergrund befanden sich ein Rednerpult und vier weitere Obelisken mit den Inschriften PHYSIK, CHEMIE, MEDIZIN und LITERATUR. Direkt vor der Bühne standen drei Sessel für die königliche Familie, dahinter folgte ein Halbkreis aus Stühlen für die Preisträger, die Überbringer und ihre Begleiter. Hinter dem Halbkreis standen Stühle für all die Intellektuellen, vornehmen Amtsträger und Offiziere aus Stockholm und Umgebung.

Die Halle füllte sich nach und nach mit festlich gekleideten Menschen. Dann traten die drei Preisträger ein und setzten sich ohne Musik oder Fanfaren, wie es heute üblich ist. Zuerst kam der stattliche Deutsche Wilhelm Konrad von Röntgen mit seinem langen dunklen Professorenbart, dann der lächelnde, blonde, glattrasierte Niederländer Jacobus Henricus van ’t Hoff, gefolgt von dem eleganten deutschen Medizinpreisgewinner Emil Adolf von Behring. Schließlich erschien der französische Minister, der stellvertretend für seinen kranken Landsmann, den Dichter Sully Prudhomme, den Literaturpreis entgegen nehmen sollte. Zuletzt trat die königliche Familie ein: in der Mitte Kronprinz Gustaf. Mit ihm kam der 19jährige Prinz Gustaf Adolf zusammen mit Prinz Eugen. Aufgrund der Sitzordnung saßen die Adeligen mehr oder weniger mit dem Rücken zu den Preisträgern und den Überbringern.

Als sich die königliche Familie gesetzt hatte, eröffnete das königliche Orchester mit einer prunkvollen Ouvertüre von Ludwig Norman. Anschließend schritt der Vorsitzende der Nobel-Stiftung, der ehemalige Premierminister Erik Gustaf Boström, zum Rednerpult und beschrieb in einer Rede von gewisser Länge Alfred Nobels Leben, seinen Charakter, seine Entdeckungen und seinen herzlichen Wunsch, daß die Menschheit durch die jährlichen Preisverleihungen von seinem Vermögen profitiere.

Hierauf trat der bedeutende ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, Carl David von Wirsén, nach vorne und las ein Gedicht. Dem folgte ein Männerquartett, das die alten machtvollen Studentenlieder sang: "Öffne die Tore, du strahlender Tempelgarten der Erinnerung".

Zuletzt begann die eigentliche Überreichung der Preise. Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Charakter der Preise wurde die Verleihung von Vertretern der beiden Institute übernommen, die die Preisträger auswählten, und nicht von Fachleuten der zugehörigen Fakultäten, wie es später üblich wurde. So gab der ehemalige Generaldirektor der Nationalarchive, Clas Theodor Odhner, Vorsitzender der Akademie der Wissenschaften, einen Überblick, wie der Physikpreisträger Röntgen die nach ihm benannte Strahlung entdeckte. Ebenso sprach er über den Chemiepreisträger van ’t Hoff, dessen Entdeckungen in den Bereich des osmotischen Druckes und der chemischen Dynamik gehören, beides Gebiete, die ihm ursprünglich fremd waren. Nach jeder Stellungnahme stieg er vom Podium herunter und führte den jeweiligen Gewinner nach vorne, damit dieser seine Urkunde und seine Medaille aus der Hand des Kronprinzen empfangen konnte.

Danach kam der Präsident des Karolinska-Institutes, Professor Graf Karl Mörner, zum Pult und beschrieb Behrings Entdeckung des Diphtherie-Serums, woraufhin Behring seinen Preis in der gleichen Weise entgegennahm. Schließlich sprach Wirsén über Sully Prudhomme und las einen Teil seines berühmten symbolischen Gedichtes Die Preisverleihung kam langsam zu ihrem Ende. Das königliche Orchester spielte einen Marsch von August Söderman, die königliche Familie erhob sich und die Halle leerte sich. Es war nicht weit zum Grand Hotel, wo ein festliches Bankett bereit stand**, zu dem sogar wir Studenten eingeladen waren. Dort wurden viele Trinksprüche ausgebracht und es herrschte eine glänzende Stimmung. Und zu später Stunde trugen zwei Studenten den kleinen van ’t Hoff in einem goldenen Stuhl im Raum umher.

Und so ging die erste - und man kann sagen historische - Nobelpreisverleihung zu Ende.“

Gelesen von Frank Berge.

Quelle: Nobel e-Museum, www.nobel.se