Stallgeruch

© Stadtarchiv Marburg

In Bortshausen, August 1974

Klatsch und Tratsch

Die Gespräche an den Mittagstischen eines 400-Seelen-Dorfes und diejenigen an einem etwas klebrigen Küchentisch einer Studierenden-WG in Marburg unterscheiden sich im Wesentlichen vermutlich kaum voneinander. Menschen reden gern über gemeinsame Bekannte, das gemeinsame Umfeld. Wollte man auf dem Land das Neueste erfahren, musste man sonntags in die Kirche gehen. Wer das nicht wusste, war ‚zugezogen‘.

Große Sprünge

Und mit den Zugezogenen kamen andere Interessen. Man begegnete ihnen in den Bürger*innenhäusern. Dort wurden Feste gefeiert, Kultur und Politik gemacht. Die Sportvereine gründeten Gymnastikkurse und Tischtennisgruppen. Die Fußballplätze bekamen neue Umkleiden, Duschkabinen und Flutlichtanlagen. Und es wurde gebaut. Wehrhausen versicherte sich im Eingemeindungsvertrag, dass der Charakter einer Wohngemeinde erhalten bleiben müsse. Keine Gebäude mit mehr als zwei Stockwerken, keine Industrie und die Erhaltung der Waldgrenze. Der vertraute Dorfzusammenhalt wurde durch den Wandel der Lebenswelten in den sechziger und siebziger Jahren angekratzt. Lange noch hatten sich die Frauen um die kleinbürgerliche Landwirtschaft und das Kleinvieh gekümmert. Als sich dies auch nicht mehr rentierte, nahmen viele Halbtagsjobs an. Nun fuhr man zum „Schaffe“ in die Stadt, erwarb den Führerschein, um die Kinder zu chauffieren. Immer mehr jungen Leute machten Abitur und gingen studieren.

Gleichmut

Die Daheimgebliebenen begannen, ihre Traditionen zu hinterfragen. Warum noch Dorftracht tragen, wenn niemand mehr ihre Bedeutung kannte? Einige beklagten den fehlenden Zusammenhalt: Es gebe zwar keinen Streit, aber auch keine politischen Auseinandersetzungen. Und dann noch diese Gebietsreform, die die gemeinsamen Probleme zu Problemen der Marburger Stadtverwaltung machte. Was blieb vom Wir-Gefühl? Hatte man da einen Sündenbock gefunden, auf den man – das zumindest – gemeinsam schimpfen konnte?

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Kinder der Richtsbergschule anlässlich der Einweihung des zweiten Bauabschnitts der Sekundarstufe I unter einem Banner sitzend: „Lohnt sich überhaupt das Abitur?“, September 1974

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Vereinsheime und Bürgerhäuser wie das Vereinshaus vom FSV Borts- / Ronhausen boten Raum für Feiern, Sport, Kultur und Politik. August 1974

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Eine gemeinsame Mahlzeit in einer Gaststätte in Hermershausen, September 1974