SOLL & HABEN

© Stadtarchiv Marburg

Stadtteilbegehung in Marbach vor dem Europa-Bad, August 1974

Die eigentliche Umsetzung der Gebietsreform dauerte in Marburg und Region mehr als vier Jahre von 1969 bis 1974

Endlich Entlastung

Die meisten kleineren Gemeinden standen einer Eingemeindung positiv gegenüber. Denn die Gebietsreform bedeutete Entlastung. Ein ehrenamtlicher Kassenwart, ein Teilzeitbürgermeister und einen Gemeindearbeiter konnten den Anforderungen an eine moderne Gemeindeverwaltung einfach nicht mehr gerecht werden. Außerdem warb die Stadt Marburg mit den Versprechen, neben der kommunalen Infrastruktur wie Straßenausbau, Stromversorgung, Kanalisation auch Bürger*innenhäuser und Kinderspielplätze zu sanieren oder zu errichten. Die Ergebnisse der zum Teil zähen Verhandlungen wurden in Verträgen festgelegt.

Abwehrstrategien

Größere Gemeinden, vor allem die sogenannten Hausdörfer Marbach, Wehrda und Cappel, wehrten sich gegen die sogenannte Zwangsehe mit Marburg. Schon vor 1971 versuchten sie, durch freiwillige Zusammenschlüsse mit Nachbargemeinden größere Verwaltungseinheiten zu bilden: Marbach-Michelbach-Dagobertshausen und Cappel-Bortshausen-Ronhausen-Moischt – mit ihnen wollte man die benötigten Einwohner*innenzahlen erzielen, um der Eingliederung zu entgehen. Dies gelang zunächst, konnte aber die spätere Eingemeindung nicht verhindern, denn andere Zahlen sprachen gegen ihre Eigenständigkeit. So arbeiteten rund 60 % der erwerbstätigen Bevölkerung Cappels bereits 1970 in Marburg, pendelten also täglich mit den damals schon bis Cappel verkehrenden Stadtbussen. Rechnet man die Studierenden, die aufgrund der schwierigen Wohnverhältnisse in der Kernstadt nach Cappel gezogen waren, sowie Schüler*innen hinzu, die Marburger Schulen besuchten, ergab sich, dass fast 90 % der Bevölkerung Cappels einen Lebensschwerpunkt in Marburg hatte. Cappel war also in der täglichen Wirklichkeit längst ein Stadtteil von Marburg, ehe es am 01.07.1974 in Marburg eingemeindet wurde.

© Stadtarchiv Marburg

Oberhessische Presse, 1971


© Stadtarchiv Marburg

Oberhessische Presse, 1971